MIT DER STIMME EINES ANDEREN. MACHT UND BESESSENHEIT IM KULT DES ‘HEILIGEN’ ALBERTO
Ulrich van Loyen
30 Oktober 2015

 

Vortrag mit Filmen von Luigi di Gianni im Rahmen der Ausstellung "I See, So I See So. Messages from Harry Smith"

In Süditalien gab es seit 1968 einen Kult um den von seinem Onkel bei einem Unfall getöteten Seminaristen Alberto, der jeden Morgen zur Todesstunde in den Leib seiner Tante Giuseppina einfuhr, die daraufhin den Menschen Botschaften aus dem Jenseits, Heilungen und Prophezeiungen zutrug. Die Tante wurde eine feste Institution, die gegen die etablierten gesellschaftlichen Mächte, gegen Parteien und Kirche, aufstand. Ihr Fall demonstriert, wie im Italien der Nachkriegszeit sozialer Wandel nicht gegen sondern mit und durch kultisch-religiöse Praktiken und Interpretationen erfolgte und wie sich insbesondere die Autorisierung von Frauen durch Besessenheit legitimierte. In der Stimme eines anderen zu sprechen, bedeutete hier, in eigener Sache reden zu können - und führte entsprechend zu Konflikten. Der vielfach ausgezeichnete Filmemacher Luigi di Gianni (*1926 in Neapel) hat diesen Fall in zwei dokumentarischen Kurzfilmen aufgegriffen. Der Vortrag wird versuchen, den Dialog zwischen Luigi di Giannis Filmen, Tante Giuseppinas Leben und dem Sprechen des unbefriedeten Toten Sant'Alberto Gehör zu verschaffen.

Ulrich von Loyen ist Kulturwissenschaftler an der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, Köln, und lebt in Rom.


Bilder

Luigi di Gianni: Nascita di un culto, 1968