AUF DEM WEG ZU PERMAKULTURELLEN INSTITUTIONEN:
ÜBUNGEN ZUM KOLLEKTIVEN DENKEN
Stiftung Künstlerdorf Schöppingen
11—18 Juli 2022

Ort:
Stiftung Künstlerdorf Schöppingen
Feuerstiege 6
D-48624 Schöppingen
stiftung-kuenstlerdorf.com
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Ein Sommerseminar kuratiert von Aneta Rostkowska, Nada Rosa Schroer und Julia Haarmann

In den letzten Jahren gab es eine Vielzahl von Ausstellungen über Pflanzen und Ökologie, begleitet von einer Faszination für indigenes Denken und verschiedene Formen kollektiver Arbeit in Kunstinstitutionen. Gleichzeitig wächst die Desillusionierung gegenüber der Kunstwelt selbst: Etwa in ihrer Unsolidarität, ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, kurzfristigen Finanzierungen gepaart mit schrumpfender struktureller Förderung, einem oberflächlichen Verständnis von Diversität, starken hierarchischen Strukturen an Kunstinstitutionen, zwanghaftes Self-Branding oder der Kult um Mobilität und Flexibilität. Das Kunstsystem imitiert perfekt die neoliberale Ökonomie unser Lebensrealität. Unsere Enttäuschung schlägt sich jedoch oft nicht in konkrete Handlungen nieder – „neoliberaler Kunstrealismus“ (ein Begriff, der von Mark Fishers „kapitalistischem Realismus“ inspiriert ist) durchdringt alles als Auffassung, dass der status quo der Kunstwelt die einzige Möglichkeit ist und eine Alternative dazu ist nicht vorstellbar.

Andererseits macht der sich verschärfende Klimawandel deutlich, dass Wirtschaft und Gesellschaft nicht so weitermachen können wie bisher. Die ökologische Katastrophe, vor der wir jetzt stehen, löst einen starken Impuls zu Veränderungen aus. Als Reaktion darauf widmet sich dieses Seminar ökologischem Denken, um anders über die Funktionsweise der Kunstwelt und insbesondere in verschiedenen Arten von Kunstinstitutionen nachzudenken. Wir bringen die Lehren von Pflanzen und Permakultur, die hauptsächlich als Ausstellungsinhalte fungierten, in die Strukturen unserer Arbeit und unsere kuratorischen Praktiken ein. Wie kann die Ethik der Permakultur (Earthcare, Peoplecare und Fairshare) eine nachhaltige Transformation von Kunstinstitutionen jenseits der oberflächlichen Anwendung ökologischer Richtlinien anregen? Kann der regenerative Aspekt des permakulturellen Denkens in eine regenerative Philosophie einer Kunstinstitution übertragen werden? Könnte dieses Denken in nachhaltige gemeinschaftsbasierte Praktiken überführt werden, die sich auf emanzipatorische Formen der Zusammenarbeit und die kollektive Sorge um ökologische und soziale Gemeingüter konzentrieren?

Was können wir von indigenen Praktiken und der Funktionsweise von Kunst in indigenen Kontexten lernen, ohne sie zu vereinnahmen oder zu romantisieren? Die Moderne konstruierte eine abstrakte Trennung von "Natur" und "Kultur" und brachte Kolonisierungsprozesse mit sich, die von rassistischen Ideologien und den Bedürfnissen des Kapitalismus genährt wurden. Jetzt müssen wir fragen: Wie können wir gemeinsam den nächsten Schritt tun? Können wir die Moderne und ihre immer wieder auftauchenden "Gespenster" negieren und in einer synthetischen, allumfassenden Bewegung mit neuen, nachhaltigen Konzepten und Praktiken auf die nächste Stufe gelangen? Ziel des Treffens ist es, ein Netzwerk (ein Mycellium) - von Permakulturschaffenden und Kunstinstitutionen zu schaffen, die daran interessiert sind, die ökologische Reflexion im Kunstsektor auf eine andere, tiefere Ebene zu heben, die zu neuen Modellen der Institutionalisierung führt.

Der erste Teil des Seminars ist dem Verständnis der permakulturellen Praktiken sowie anderer ökologischer Ansätze durch Theorie, aber auch durch gärtnerische Übungen gewidmet. Zusammen mit eingeladenen Experten, z.B. Alfred Decker, werden wir die Techniken und die Ethik der Permakultur entlang ihrer 12 Prinzipien erkunden: Beobachten und interagieren, Energie auffangen und speichern, einen Ertrag erzielen, Selbstregulierung anwenden und Rückmeldungen akzeptieren, erneuerbare Ressourcen und Dienstleistungen nutzen und wertschätzen, keine Abfälle produzieren, von Mustern bis hin zu Details entwerfen, integrieren statt trennen, kleine und langsame Lösungen nutzen, Vielfalt nutzen und wertschätzen, Ränder nutzen und den Randbereich wertschätzen und Veränderungen kreativ nutzen und darauf reagieren.
Im zweiten Teil werden wir uns mit spezifischen Themen wie dem Kuratieren in kleinen/mittleren Kunstinstitutionen, dem Kuratieren von Residenzprogrammen und dem Kuratieren von Festivals befassen. Wir werden gemeinsam permakulturelles/pflanzliches Denken auf diese Bereiche anwenden und versuchen herauszufinden, wie ökologische Ansätze uns helfen können, diese Bereiche auf unserem Weg zur Überwindung des neoliberalen Kunstrealismus zu transformieren und Methoden der ökologischen Instituierung zu entwickeln.

Das Seminar umfasst Diskussionen in einem geschlossenen Kreis von Praktiker:innen, Künstler:innen und Kurator:innen sowie öffentliche Veranstaltungen, die online zugänglich sind, sowie auch in Form eines Publikumstages (Samstag, 16. Juli) vor Ort.

Teilnehmende: Art Residency Research Collective (Pau Catà/ Morag Iles/ Miriam La Rosa/ Patricia Healy McMeans/ Angela Serino), Giulia Bellinetti, Felipe Castelblanco, Viviana Checchia, Culture for Climate (Ewa Chomicka/ Anna Czaban), Madeleine Collie, Clelia Coussonnet , Alfred Decker, T. J. Demos, Marianna Dobkowska, Maja Fowkes & Reuben Fowkes, Yoeri Guépin, Judit Hoffkamp, Michael Marder, Riya Matthew, Lola Malavasi Lachner, Anna Melnykova, Paloma Nana, Sunná Nousuniemi, Åsa Sonjasdotter, Sour Grass (Annalee Davis/ Holly Bynoe), Ela Spalding, Stéphane Verlet Bottéro. Community cooking von Paula Erstmann.

Öffentliche Keynote-Vorträge (online)
(Registrieren Sie sich mit den unterstehenden Links vorab für die Meetings; nach der Registrierung erhalten Sie eine Bestätigungs-E-Mail mit Informationen zur Teilnahme.)

Michael Marder
Toward Material Sustainabilities: Perspectival Meditations13. Juli, 14 – 15:30 Uhr

Sour Grass (Annalee Davis & Holly Bynoe)
The Grounds We Nurture
14. Juli, 10 – 11:30 Uhr

T. J. Demos
Climate Aesthetics as Class War16. Juli, 17 – 18:30 Uhr

Maja Fowkes & Reuben Fowkes
The Self-Management of Plants17. Juli, 9:30 – 11:30 Uhr

Öffentliches Programm (vor Ort)
Zur Anmeldung senden Sie bitte eine E-Mail an
info@stiftung-kuenstlerdorf.de

Yoeri Guépin
Workshop: Cooking for microbes. Changing the microbiome of extractive capitalism
16. Juli, 10 – 13 Uhr

T.J. Demos
Seminar on Climate Aesthetics as Class War
16. Juli, 15 – 16:30 Uhr

Community Brunch
17. Juli, 12 – 16 Uhr

Das Seminar wird in Zusammenarbeit mit der Temporary Gallery. Zentrum für zeitgenössische Kunst in Köln entwickelt. Es ist Teil des Programms CAP (Curating for Advanced Practices) der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen. Ziel von CAP ist es, neue Strategien und Strukturen in den Künsten und für künstlerische Praktiken zu entwickeln und deren Umsetzungs- und Produktionsbedingungen auszuhandeln.

Vorträge / Workshops / Seminare:

Michael Marder: Toward Material Sustainabilities. Perspectival Meditations
In diesem Vortrag gehe ich der Frage nach, wie die Welt der Vegetation das Denken und die Praktiken der Nachhaltigkeit untermauert, ermöglicht und in der Tat aufrechterhält. Ich argumentiere, dass Pflanzen einen intrinsischen Wert besitzen, der sich nicht auf die instrumentelle Rationalität reduzieren lässt, die oft mit Nachhaltigkeitsdiskursen einhergeht. Die Bedeutung des intrinsischen Wertes von Pflanzen liegt nicht so sehr in dem, was sie an sich sind, sondern in dem, was sie für sich selbst sind, an den Grenzen des menschlichen Verständnisses. Ich schlage dann vor, dass diese pflanzliche Perspektive auf die Welt, die die anthropozentrische Idee der Wahrheit in Frage stellt, eine arten- und kategorienübergreifende Wertegemeinschaft mit menschlichen Umweltpraktiken verbinden kann, die andere Lebewesen nicht als Objekte der Sorge, sondern als Partner für ein nachhaltiges Leben behandeln.

Sour Grass: The Grounds We Nurture
Die Initiatorinnen von Sour Grass, Holly Bynoe und Annalee Davis, werden einen Überblick über ihre individuellen und kollektiven Praktiken als Künstlerinnen, Kuratorinnen und Aktivistinnen geben, die Aspekte aufkommender kultureller Ökologien im karibischen Raum hinterfragen. Aus einer postkolonialen Perspektive untersuchen sie Begriffe wie Knappheit und Verwaistheit und stellen Modelle vor, die historischer Gewalt entgegenwirken. Begriffe wie Gastfreundschaft, Fürsorge, Heilung, Wohlbefinden und Gemeinschaft spiegeln sich in ihren gemeinschaftlichen Ansätzen wider. Zu Beginn der Veranstaltung werden drei einzigartige Tees mit Pflanzen aus den schottischen Highlands und Barbados serviert, und zum Abschluss wird zur Teilnahme an der Zubereitung von Kakao-Tee mit Bohnen und Zutaten aus St. Vincent & The Grenadines eingeladen.

T.J. Demos: Climate Aesthetics as Class War
Während wir für eine lebenswerte Welt inmitten des kapitalistischen Ruins kämpfen, ist es unmöglich zu ignorieren, dass der Klimawandel ein Klassenkampf ist. Während die herrschende Klasse vom fossilen Kapital profitiert, leiden die arbeitenden Menschen weltweit unter der militärischen Gewalt, der steigenden Hitze und den damit verbundenen lebenszerstörenden sozialen und ökologischen Auswirkungen. Wie können wir auf dieser Grundlage Ästhetik und Politik neu überdenken, einschließlich künstlerischer Institutionen und kollektiver Praxis? Der Aufbau eines Ökosozialismus auf einem sich erwärmenden Planeten—als notwendige Lösung für den rassischen und kolonialen Kapitalismus—erfordert Organisierung: Wie sieht das heute innerhalb eines durch und durch neoliberalen Kunstsystems aus?

Maja und Reuben Fowkes: The Selbstmanagement of Plants
Klimaschocks erschüttern die Mensch-Pflanze-Beziehungen, zerstreuen vorsätzliche Ignoranz gegenüber der Multidimensionalität des Pflanzenlebens, stören die Logik der Input-basierten Landwirtschaft und bringen das Ethos des Anbaus ins Wanken, das die Aufmerksamkeit für die Widerstandsfähigkeit, Widerspenstigkeit und Wiedergutmachungskraft von Pflanzen erneuert. Künstlerische Annäherungen an die Pflanzenwelt offenbaren die Andersartigkeit, Vitalität und Genialität botanischer Lebensformen, artikulieren aber auch eine pflanzenzentrierte Kritik an Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen. Inwiefern lassen sich Parallelen zwischen basisdemokratischen und egalitären Organisationsformen und der Selbstverwaltung von Ruderalbetrieben ziehen? Wie könnte die Annahme der Handlungsfähigkeit bahnbrechender Pflanzen und das Loslassen des taxonomischen Überlegenheitskomplexes hierarchischer Königreiche einen Weg nach vorne für Kunstinstitutionen auf der Suche nach permakulturellen Modellen darstellen?

Yoeri Guépin: Cooking for microbes. Changing the microbiome of extractive capitalism
Was sich im Mikrokosmos des Bodens abspielt, scheint einem archetypischen Schema zu folgen. Der Boden ist mit einer Billion winziger Mikroorganismen bevölkert, darunter auch Bodenbakterien, die sich grob in drei Lager aufteilen lassen: Die „Guten“, die „Bösen“ und die “Opportunisten”. Gute Bakterien gehen symbiotische Partnerschaften mit Pflanzen ein (die Mutualisten) oder bauen Pestizide und Schadstoffe ab und sind Nährstoffspeicher (die Zersetzer). Schlechte Bakterien können Fäulnis und Krankheiten verursachen (die Krankheitserreger). Der Rest der Bakterien entscheidet sich für die Seite, die im Moment die stärkere ist.
Durch den Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden hat die industrielle Landwirtschaft im Kapitalismus die idealen Bedingungen für die Vorherrschaft pathogener Bakterien in den landwirtschaftlichen Böden geschaffen, die in einer Abwärtsspirale, in der ein Übel mit einem anderen behandelt wird, eine weitere Desinfektion mit Pestiziden erfordern.
Von der Umwandlung des Bodens im Kapitalismus ist es nur ein kleiner Schritt, über uns selbst und unser Mikrobiom nachzudenken, das nach denselben Prinzipien funktioniert. Was bedeutet Regeneration, wenn wir das Prinzip des Bodens auf uns selbst anwenden? Wie können wir den Boden regenerieren und gleichzeitig eine gesunde Umgebung für uns und unsere Umwelt schaffen? In dem Workshop werden wir zunächst verschiedene Bodenzustände untersuchen und analysieren. Im nächsten Schritt lernen wir, wie wir mit frei verfügbaren Materialien und improvisierten Techniken eine nahrhafte Mahlzeit für Bakterien zubereiten, die den Boden regenerieren. Gemeinsam werden wir Zutaten herstellen, brauen und mischen, die die Voraussetzungen für ein ausgewogenes und biodiverses Bodenökosystem schaffen.

Bild
Courtesy of Stiftung Künstlerdorf Schöppingen. Photo: Yoeri Guépin

Förderung und Unterstützung
Mit freundlicher Unterstützung der Kunststiftung NRW, des Fördervereins Künstlerdorf Schöppingen und dem Internationalen Besucherprogramm des NRW KULTURsekretariats (Wuppertal). / With kind support by the Kunststiftung NRW, the Friends of the Künstlerdorf Schöppingen Association and the International Visitor Program of the NRW Kultursekretariat Wuppertal.