Die Temporary Gallery. Zentrum für zeitgenössische Kunst ist nicht nur eine Institution, sondern auch ein Netzwerk. In dieser Reihe wollen wir euch die Menschen vorstellen, die an unserer Arbeit beteiligt sind und die Realisierung unserer Projekte erst möglich machen. Heute stellen wir euch Nada Rosa Schroer vor.
Interview und Redaktion: Nelly Gawellek
Mai 2025
Liebe Nada, ich möchte mit meiner Lieblingsfrage einsteigen: Hattest du als Kind einen Berufswunsch? Welcher war das?
Als Kind wechselten meine Berufswünsche ständig. Ich kann mich daran erinnern, dass ich lange Zeit Tierforscherin und -filmerin werden wollte. Nachdem ich im Sprengel Museum Werke von Niki de Saint Phalle gesehen hatte, wollte ich riesige Figuren aus Pappmaché bauen und auf Leinwände schießen. Als Jugendliche habe ich viel journalistisch gearbeitet und wollte Radioreporterin werden.
Heute bist du freie Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunst und Materielle Kultur an der TU Dortmund. In deiner Arbeit und Forschung spielt das Thema Wasser eine große Rolle. Womit beschäftigst du dich im Moment?
Gerade bin ich intensiv mit einem Forschungsprojekt zur Transformation von Wasserkörpern in (Nach-)Bergbaulandschaften beschäftigt. Ich möchte wissen, wie sich die Wasserkörper durch die massiven Eingriffe verändert haben und welche “Wassergeister” diese Eingriffe heraufbeschwören, d.h. welche Geschichten und (Zukunfts-)Vorstellungen die Landschaft prägen und wie das Wasser die Landschaft umgekehrt formt. Folgt man den Spuren des Wassers, kann man zudem einiges über gesellschaftliche Macht- und Naturverhältnisse lernen. In extraktivistischen, imperialen Kontexten wird Wasser nicht nur als unbelebte Ressource reduziert, sondern auch eingesetzt, um ökologische, politische und ökonomische Gewalt auszuüben. Weltweit finden Wasserkämpfe auf Grund von Wasser-Grabbing, Ausbeutung und Verschmutzung statt, mittlerweile auch in Deutschland.
Wie kann man sich deine Forschung zu dem Thema vorstellen?
Einen großen Teil der Forschung führe ich gemeinsam mit einer Gruppe von Künstler:innen und Kurator:innen durch, die sich ebenso wie ich für Mensch-Wasser-Beziehungen begeistern und künstlerische Methoden entwickelt haben, diese Beziehungen zu erforschen, Gemeinsam versuchen wir die Welt aus einer „wässrigen” Perspektive zu sehen. Oft fangen die Erkundungen mit dem eigenen Körper an, um dem engen Verhältnis nachzuspüren. Dieser Ausgangspunkt findet sich auch in hydrofeministischen Diskursen oder nicht-westlichen Kosmologien wieder. Die amerikanisch Dichterin Natalie Diaz, die den Mojave angehört, fragt: „How can I translate—not in words but in belief—that a river is a body, as alive as you or I, that there can be no life without it?“ Wenn wir buchstäblich aus Wasser bestehen, können wir dann Wasser und Mensch noch als getrennt voneinander denken? Wasser als Ressource auf der einen, der Mensch als Konsument auf der anderen Seite – diese Art, mit dem Wasser in Beziehung zu treten, steht für ein Denken in Dualismen, das paradigmatisch für die westliche Moderne ist. Es gibt viele Künstler:innen, die mit ihren Ansätzen dazu beitragen, diese komplexen Verstrickungen wahrnehmbar zu machen, indem sie gesellschaftliche Zusammenhänge entlang der Spuren des Wassers erforschen, andere Zugänge und Sensibilitäten für mehr-als-menschliche Mitwelten schaffen und Erfahrungsräume kreieren, in denen wir uns wieder in Beziehung wahrnehmen, anstatt in hierarchischen Dualismen zu denken. Das Thema hat so viele Facetten und das alles durch transdisziplinäre, künstlerische Blickwinkel zu betrachten, ist sehr spannend.
Wie kam es zu diesem sehr speziellen, aber doch universellen Forschungsthema?
Zum einen sensibilisierten mich wiederkehrende Perioden von extremer Trockenheit für die existentielle und systemische Bedeutung des Wassers. Der planetare Wasserkreislauf gerät auf Grund der Klimakatastrophe zunehmend aus dem Gleichgewicht. Als der Regen plötzlich wochenlang ausblieb, wurde für mich auch die persönliche Bedeutung spürbar. Wahrscheinlich könnte man das, was ich seitdem empfinde, wenn es trocken wird, als „hydro anxiety” bezeichnen. Gleichzeitig begann ich mich für die kulturelle und spirituelle Dimension des Elements zu interessieren. Nicht umsonst spielt es in vielen Ursprungsmythen eine wichtige Rolle, wird durch zahlreiche Gottheiten verkörpert und als lebendige Entität mit eigenem Willen wahrgenommen. Ich denke, der Grund dafür liegt in der simplen Wahrheit, dass ohne Wasser kein Leben existieren würde. Es hört sich an wie ein Klischee, aber was daraus folgt ist, dass Wasser alles durchfließt und verbindet. Wasser erlaubt es, in Beziehung und Interdependenzen zu denken und dabei zeitliche und räumliche Grenzen zu verlassen.
Du hast in der Temporary Gallery in den letzten Jahren verschiedene Projekte und Ausstellungen betreut, die sich mit dem Verhältnis von Kunst und Ökologie beschäftigen. Wo siehst du die wesentlichen Zusammenhänge? Welche Rolle spielt die Kunst in deinen Augen in Zeiten einer globalen Klimakrise?
Im Kontext der Klimakatastrophe verstehe ich Kunst als ein wesentliches gesellschaftliches Organ – eines, das Imaginationsräume offenhält, unbequeme Fragen stellt, progressive Denkbewegungen anstößt und philosophische Komplexität zugänglich macht. Kunst kann ästhetische, mitunter utopische Räume schaffen: Orte des Aufatmens, der Ermutigung und des gemeinsamen Weiterdenkens. Zahlreiche Projekte gehen über das bloße Thematisieren der Katastrophe hinaus – sie erproben alternative Praktiken, stiften Gemeinschaften und eröffnen andere Erzählungen über unser planetarisches Zusammenleben.
Bei den Projekten Urban Rewilding: All of the Critters (2024), Curating Transformation: Allyship - Degrowth - Grounding (2023, mit Aneta Rostkowska), Towards Permacultural Institutions. Exercises in Collective Thinking (2022, mit Julia Haarmann und Aneta Rostkowska), und Instituting in Circles: Ecological Approaches in Art and Art Institutions(2022) ging es viel darum, wie Kunstinstitutionen zu Räumen der sozialökologischen Transformation werden können. Es ging um Kunst, die sich gleichzeitig als soziale und ökologische Praxis versteht; nicht nur als etwas, das in einer klassischen Ausstellung thematisiert und repräsentiert wird, sondern im gemeinsamen Tun temporäre Gemeinschaften schafft, um Ideen zu sammeln und Praxen außerhalb des White Cubes zu erproben. Der Hintergrund war wieder einmal eine Auseinandersetzung mit dem Weltbild der kolonialen Moderne, aus welchem klassische White Cubes entstanden sind und auf einer fundamentalen Trennung von Sozialem, Ökologischem und Ästhetischem basieren. Darauf aufbauend wollten wir Strukturen denken und Programme entwickeln, die ganzheitliches Denken institutionell verankern. Wir haben in diesem Kontext zum Beispiel viel mit dem Kölner Gemeinschaftsgarten NeuLand zusammengearbeitet.
Was ist dir bei deiner Arbeit besonders wichtig?
Mir macht es momentan besonders viel Spaß, kollektive Räume für Diskussion, Wissenskreation, somatische bzw. sinnliche Erfahrung zu gestalten. Am liebsten ist es mir, wenn Projekte gemeinsam entstehen und sich im intensiven Austausch entwickeln. Ich liebe es, in einer Gruppe über einen längeren Zeitraum zusammen ein Thema künstlerisch-kuratorisch zu erforschen und verschiedene methodische Zugänge auszuprobieren. Oder wenn unterschiedliche Arten, Wissen und Welt zu erzeugen, aufeinandertreffen und in Dialog miteinander kommen. Menschen aus unterschiedlichen „Bubbles“ – Berufen, Disziplinen, Altersgruppen, Räumen – einzuladen und zu erforschen, wie sich Bedeutung verschiebt oder sich neue Perspektiven eröffnen. Oder unterschiedliche Materialien, Objekte, Kunstwerke im Ausstellungsraum aufeinandertreffen zu lassen. Das ist eine konstellative Arbeit, die mit Atmosphären und Intensitäten spielt. Es geht darum, Wissens- und Materialhierarchien aufzubrechen, voneinander zu lernen, sich kontaminieren zu lassen.
Was machst du in deiner Freizeit gerade am liebsten?
Ich brauche viel Abwechslung. Meistens lerne ich irgendeine neue Sprache und versuche möglichst viel Musik, Literatur und Podcasts in dieser Sprache zu konsumieren. Momentan ist das Portugiesisch. Außerdem mache ich selbst Musik und tanze Samba und Forró. Und natürlich schaue ich, wann immer es geht, Kunst an.
Was wünscht du dem Kulturbetrieb für die Zukunft?
Ich glaube, dass Kunstinstitutionen in Zeiten von politischem Backlash, Zensur, Austerität und einem zunehmend rechts-konservativen Kulturkampf eine besondere Verantwortung zukommt. Gerade weil sich vieles gerade beängstigend schnell in die falsche Richtung entwickelt, müssen wir Räume offenhalten – gerade für jene, die am stärksten von Rassismus, Antisemitismus, Anti-Feminismus und anderen Formen von Diskriminierung betroffen sind. Es ist eine mentale Gratwanderung, angesichts des fortschreitenden Abbaus von Freiheitsrechten und dem finanziellen Kahlschlag, die kollektiven und eigenen Visionen nicht loszulassen. Wir sehen, wie rechtsextreme Akteur:innen zunehmend Rückhalt in der Politik gewinnen, wie Repression und Hetze zunehmen – auch gegen Kulturschaffende selbst. Und dennoch – oder gerade deshalb – ist es essentiell, an der Arbeit für eine soziale, gerechte und ökologische Gesellschaft festzuhalten. Wir dürfen uns nicht vorzeitig geschlagen geben und mit dem Beharren auf Haltung, Öffentlichkeit, Gemeinschaft Widerstand leisten. Ich wünsche mir mutige Institutionen, solidarische Netzwerke und Räume, die Schutz bieten, um Kraft zu tanken und als Ausgangspunkt für kollektives Denken, Fühlen und Handeln. Solidarität ist kein abstrakter Begriff, sondern eine Praxis, die wir im kulturellen Feld – mit all seinen Widersprüchen – immer wieder neu erproben müssen. Was wir jetzt brauchen, ist eine Kultur der gegenseitigen Stärkung.
Foto:
Anna Kessel